Torsun & The Stereotronics by Bastian Bochinski

Die große Vorfreude auf Torsun Burkhardts erstes Post-Egotronic-Album wurde vor ein paar Wochen von einer schlimmen Nachricht hinweggefegt, die uns alle sehr traurig gemacht hat, und die ich weder verschweigen noch besonders hervorheben will, da es hier um die Musik gehen soll.

Ich zitiere daher an dieser Stelle Torsuns langjährigen Freund Linus Volkmann, der auch den Pressetext zur Platte geschrieben hat:

Torsun & The Stereotronics, das ist das neue Bandoutfit, das nur kurz nach dem Ende von Egotronic in Erscheinung tritt. Es klingt zart, smart, verspielt und dringlich. Dieses Trio lässt die Nuancen tanzen, es perlen unzählige kleine und große Hits aus dieser Platte. Und trotzdem kommen einem hier die Tränen. Um zu kapieren, wie wichtig der Moment ist, dafür braucht man nicht langwierig Religionen oder verhaltensauffälligen Instagram-Influencer:innen folgen. Es reicht ein einziger Satz aus dem Jahre 2007, den das Buch „Raven wegen Deutschland“ im ersten Absatz zitiert: „Selbst wenn wir die ganze Scheiße nächstes oder übernächstes Jahr an die Wand fahren sollten – das hier kann uns keiner mehr nehmen.“ Sich selbst nicht auf ein diffuses Später vertrösten, stattdessen im Hier und Jetzt schillernd aufgehen. Lustprinzip statt Lustaufschub. Gar nicht so leicht, aber typisch Torsun Burkhardt, von dem auch das genannte Buch stammt. Anfang März nun macht Torsun seine Krebserkrankung öffentlich. Hoffnung? Fällt aus. Stattdessen stehen da auf dem Screen die Worte „unheilbar“ und „palliative Chemo“. Wo ist der Knopf zum Rückgängig machen? Ernsthaft gefragt. Das geht doch so nicht.

Und was soll nach so einer Nachricht bitte jetzt kommen – Musik, oder was? Macht mal die Verstärker an? Ja, genau das. Und zwar nicht weil das hier ein verdammter Infozettel zu einem Produkt ist – drauf gepfiffen – sondern weil das Album „Songs To Discuss In Therapy“ garantiert keinen fucking Krebs gebraucht hätte, um größere Aufmerksamkeit zu erlangen. Es ist auch ohne diesen Schatten ganz fantastisch, bringt vieles neu auf den Punkt. Alle alten, neuen und mitgereisten Fans des Systems Torsun sollen das wissen. Und dieses Album kann man nicht mehr skippen, ohne an einem Ende anzukommen.

Aber mal von vorn: Erst letzten Winter feierten sich Egotronic in die Garage. Torsun beendet nach 20 Jahren sein gleichsam richtungsweisendes wie wandlungsfähiges Rave-Punk-Band-Outfit. Doch die letzten Shows sind nicht mal gespielt, da hat er schon wieder Neues im Sinn. Und das hat vor allem mit zwei Leuten zu tun, einmal Christian Schilgen, der zuletzt als Arrangeur und Gitarrist bei Egotronic aktiv war und das Projekt Deorbiting (Stil vor Talent) unterhält und … Moment, Torsun ruft mir gerade noch ins Ohr, ich solle unbedingt ergänzen, Christian und er würden musikalisch passen wie Arsch auf Eimer, das hätte sich schon bei Egotronic herausgeschält. Gut, Torsun, da steht’s jetzt!

Und nun aber zu Sina Synapse: Sie war bereits Teil des Duos OXY Music, ist mit Torsun verheiratet und die beiden stellen das lebendigste wie kreativste Paar dar, das sich je bei Sonnenaufgang in der Panoramabar in die Arme gesunken ist. Fakt! In dieser Konstellation entstanden zwölf Stücke elektronischer Natur – immer wieder aufgemischt von Gitarren und so. Das Besondere an Torsun & The Stereotronics ist dabei das Feinstoffliche. Klingt bekloppt, aber ich meine damit, dass Egotronic immer auch interessante Nuancen in Sound und Haltung anklingen ließen, diese wurden aber oft übertönt von der markigen Schlachtschiff-Inkarnation, die der Act darstellte. All dies Zarte, Smarte, Verschmitzte erhält nun bei dem neuen Trio einen viel größeren Raum, kann nicht mehr einfach weggebasst werden. Die Krassheit gerade auch der Texte kommt so noch mal besonders zur Geltung. Pling-Pling-Electro trifft auf Minimal, NDW auf Post-Wave und mitunter auf rap-affine Reimstrukturen. Ach so, und dass Torsun und Sina gern dramatischen Grunge-Trap wie den von Lil Peep gehört haben, ist auch kein Geheimnis. Musikalisch wird dieses Patchwork fein verwoben und auch wenn sich jeder Song immer wieder ganz neu instrumentiert und interpretiert sieht, herrscht ein stilsicherer Signature-Sound auf dieser Veröffentlichung.

Nicht alle Stücke hier sind Duette, aber natürlich findet das Prinzip von Call and Response oft Verwendung. Ein bisschen erinnert der Stimmkontrast dann an die Band Snap. Eine Stimme bildet die höheren, klaren Frequenzen ab (Jackie Harris) und die andere hat mehr Volumen, mehr Bass (Turbo B). Nur dass in dieser Analogie hier Sina dann Turbo B wäre und Torsun mit seinem unverwechselbaren Organ das Gegenstück. Das Titelstück des Albums sei Zeuge dieser These. „Songs To Discuss In Therapy“ beweist zudem, wie wenig schematisch Torsun und seine beide
Stereotronics beim Songwriting vorgehen. Nach dem zweiten Refrain wird tatsächlich in das Stück eine Aufforderung verbaut, die Hörenden mögen selbst einen Rant oder Gruß als Audiofile einsenden. Sie bekämen dann eine customized Version des Songs zurück. Wie ideenreich und sprühend kann man bitte sein?

„Trübe Gedanken / allgegenwärtig / 1000 Projekte / alle nicht fertig“ heißt es auf der dritten Single „D.A.R.E.“ – und in diesem witzigen, bittersüßen Song, der den ruhelosen Torsun treffend porträtiert, mischt sich dann wieder diese schreckliche Gewissheit. Da war doch noch was… Fucking Endlichkeit. Ach, lass mich. Aufschieben, wegdrücken, einfach noch mal ein Umlauf „Songs To Discuss In Therapy“ starten. Die After Hour fällt aus? Das wollen wir doch mal sehen.

Text: Linus Volkmann

 

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